unsere zeit - Zeitung der DKP25. Juli 2003

Feuilleton

Reiten auf dem Leben
Ein Nachruf auf Erich Köhler

Am Mittwoch, den 16. Juli 2003 starb unser Genosse, der Schriftsteller Erich Köhler.

Ich lernte Erich Köhler als Redakteurin der Kommunistischen Arbeiterzeitung kennen. Er hatte uns sein Buch "Sture und das deutsche Herz" zur Rezension zugeschickt. An dieser versuchte ich mich zu Beginn des Jahres 1991. Aus dem Briefwechsel und späterer persönlicher Bekanntschaft entstand eine tiefe Freundschaft.

In einem seiner ersten Briefe schrieb er mir: "Es ist sinnlos, kein Kommunist zu sein." Das war 1991, als Dummheit und Härte in ihrem Triumph schwelgten, Norbert Blüm zeitgeistlich tönte: "Marx ist tot. Jesus lebt" und nur wenige in dieser neuen großen deutschen Republik darüber lachen konnten. Die Reaktionäre hüben und drüben frohlocken, die Wendehälse bekommen Nackensteife - und Erich schreibt einfach und klar: "Es ist sinnlos, kein Kommunist zu sein."

Bereits damals begann meine Liebe und Verehrung für Erich: Seine pointierte Art, parteilich zu sein für die Arbeitenden, die Suchenden und auch die Verlorenen und Dummgehaltenen. Seine Verachtung für alles Feige, Kleingeistige, Denkfaule, Bequeme, Sich-Anbiedernde. Mit Schärfe und doch ohne Aggressivität, kompromisslos und doch ohne Besserwisserei gegenüber jenen, die man lehren muss. Unerschütterlich im Vertrauen auf die Macht der Poesie, entsetzt über die Schindluderei, die mit Sprache und Wort und Denken getrieben wird. Persönlich bescheiden, unersättlich in Neugier und Gier auf das Leben.

Und dann mein erster Besuch in Alt-Zauche, das Sitzen am Kamin, mit Wein und langen Gesprächen, sich ausforschend, Gemeinsamkeiten entdeckenden, vergnügt mit Worten sich reibend, genüsslich Ideen drehend und Gedanken wendend. Die Kahnfahrt durch den Spreewald mit diesem und jenem Schnapserl und viel Gelächter. Und Tränen beim Abschied.

"Paralipomena" hat mir eine neue Dimension eröffnet in seiner Forderung an die Angehörigen der schreibenden Zunft, sich nicht auf Tantiemen auszuruhen und sich als was Besseres zu fühlen, sondern als Angestellter einer arbeitenden Einheit zu leben. "Ich gab meinen Status als freischaffender Schreiber auf und ließ mich als schreibender Angestellter im VEG-Tierproduktion ´Spreewald´, Radensdorf, nieder. Dort wurde mir ein Gehalt als Betriebsingenieur gewährt. Sämtliche Einkünfte aus der laufenden Buchproduktion sowie von Theater, Film, Funk, Fernsehen ließ ich an das VEG abführen. Auch das war ein Stück Leseland, eine im Sozialismus nicht nur mögliche, sondern auch hinweisende kommunistische Feldposition im Kunstsektor nach dem Motto: Wie gleiches Streben Held und Dichter bindet (Goethe, Tasso). Die reaktionäre Wende machte den Fortgang dieses Modells zunichte." (Credo, 2000)

Dichtkunst zwischen Kuhmist. Und das unerschütterliche Wissen, tatkräftig umgesetzt, dass auf jeder ordentlichen Betriebsfeier ein Stück Poesie vorgetragen gehört. "Als in Berlin 200 000 oder mehr Intellektuelle gegen etwas demonstrierten, aber nicht wussten wofür, da stand ich auf dem Güllerost inmitten unserer Aufzuchtrinder. Diese wollten gefüttert, gepflegt, betreut, getätschelt werden. Mein ´Sozialismus mit menschlichem Antlitz´ war in diesem Fall den Tieren zugewandt." (Credo, 2000)

"Nichts gegen Homer" wurde mein Credo. Da stellt Erich den antiken Hesiod und seine epische Würdigung von Ackerbau, den Bau einer Pflugschar rühmend gegen den schlachtentümelnden Homer. "Da passiert nichts Bemerkenswerteres, als dass in einer Welt, die von den Kriegseroberungen der Vorväter träumt, von gemeiner Arbeit die Rede ist." Immer wieder lese ich voller Vergnügen den Spott, den Erich über die Lobpreisung der Helden gießt: "Der homerische Erzähler kommt daher mit dem lakonischen Ergebnis nicht aus; er braucht allemal die Gelegenheit, um die Situation mit Phrasen, am besten durch den Mund des Sterbenden, zu erläutern. Deshalb sterben homerische Helden nicht schlechthin durch Volltreffer; ihnen muss noch genügend Zeit und die physiologische Möglichkeit eingeräumt werden, ihren Standpunkt noch einmal nachhaltig zu artikulieren. Mit durchschnittenem Hals ist da freilich nichts zu leisten." (Nichts gegen Homer, 1986)

Die DDR verteidigte Erich glühend ob ihrer Errungenschaften für die Menschen und geißelte sie nicht minder für ihre Beschränktheit: "Was nützt uns dieser vulgäre Materialismus? Was nützt der ständig steigende Lebensstandard, wenn er zur Verfettung, zur geistigen Trägheit führt?" (Eva Kaufmann: Gespräch mit Erich Köhler. In: Nichts gegen Homer, 1986)

"Wenn in einem Lande die Wirkungsgesetze der antagonistischen Klassengesellschaft ausgeschaltet und durch die Gesetze vernünftiger Planwirtschaft abgelöst werden sollen, worin ja schließlich der Kern jeder proletarischen Revolution besteht, dann entscheidet die Einstellung der Menschen zur Arbeit, das Pathos der von Ausbeutung befreiten gesellschaftlichen Produktion alles."

"Warum aber hinken wir in vielen wichtigen Positionen der Forschung, Technologie, Elektronik, Mode, Dienstleistung nach Qualität und Menge hinter dem kapitalistischen Ausland her? Liegt es nicht auch daran, weil wir das Pathos der Arbeit, dieses Hochgefühl der bewussten Auseinandersetzung mit den Kräften der Natur und mit uns selbst, noch nicht genügend ausgebildet haben?" (Nichts gegen Homer, 1986)

"Kommunismus ist verwirklichte Poesie." Wer versteht es? Wie lange werden wir brauchen, bis Utopie und Poesie als die zwei Seiten ein und derselben Medaille begriffen sind und wahrer Humanismus in Stolz und Größe ersteht?

Sein hartnäckiger Kampf zuerst im P.E.N. bei seinen ach so klugen Dichterkollegen, dann gegen seinen Ausschluss. "Von allen Dichtern, die mir ein Begriff sind, liebe ich am meisten: Edgar Allan Poe, wegen seiner unerhörten Phantasie; Hans Fallada, wegen seines vollblütigen Fabuliertalents; Hans Marchwitza, wegen seiner Schlichtheit und Wärme; Goethe, wegen der Universalität seines Geistes; und Scholochow, wegen der Dramatik seiner Werke" - so Erich 1966. Ach Erich, da wird man heute im P.E.N. ganz schön suchen müssen ...

Erich wurde Mitglied unserer Partei. War zu finden auf Veranstaltungen, hinterm Büchertisch und schreibend für "Das Kleine Blatt" der DKP Niederlausitz, in das er immer wieder neben die Lokalnachrichten aus Cottbus und Umgebung die Diskussion um Politik und Poesie getragen hat.

"Um schlüssig zu werden, müssen wir die Herausbildung des Bewusstseins untersuchen". So steht es in dem Text "Orphische Variationen", den Erich mir vor wenigen Tagen zugeschickt hat. "Wer nimmermehr das Taglicht sieht, hält Schatten- oder Seelenbilder am Ende für real." - "Die ganze Menschheit muss singend aus den Niederungen ihres Daseins hinausmarschieren. Kommunismus ist verwirklichte Poesie."

Wie sehr vermisse ich ihn.

Ursula Vogt


Erich Köhler, geboren 1928 in Karlsbad (Karlovy Vary). Nach nicht abgeschlossener Bäcker-, Schneider-, Malerlehre Landarbeiter, als Wismut-Kumpel unter Tage; lebte freischaffend in Alt Zauche im Spreewald zusammen mit seiner Frau Petra und Tochter Fanny.

  • Heinrich-Mann-Preis 1977.

  • Romane: Schatzsucher (1964), Hinter den Bergen (1976), Sture und das deutsche Herz (1990)

  • Einige seiner Erzählungen: Der Krott oder Das Ding unterm Hut (1976), Reise um die Erde in 8 Tagen (1979), Kiplag-Geschichten (1980)

  • Viele Wortmeldungen in diversen literarischen Formen: Nichts gegen Homer. Betrachtungen und Polemiken (1986), Blasmagorien (1986), Sentenzen kontra Schwarzbuch (1998), Credo oder "Wie gleiches Streben Held und Dichter bindet" (2000).


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