- Das Kleine Blatt - DKB Nr.8 - 3.November 2001
- Ihr Einwand auf unsere Sonderausgabe des Kleinen Blattes "Menschwerdung 2":
"...Ihnen möcht ich schon glauben, dem MÜLLER nicht..." verlangt nach Entgegnung.
Glaubhaftigkeit ist nicht gefragt. Heiner MÜLLER sah konzeptionell die Welt als Vorlage fürs Theater. Welt wird zum Rohstoff, ihre Widerspiegelung zur Hauptsache. Reflexion wird primär, Realität sekundär. Das ist nur scheinbar idealistisch. Seit Vernunft aufgekommen ist, ist auch Reflexion etwas ganz Reales. Vernunft entstand zuerst auf dem griechischen Theater. AISCHYLOS' Drama "Die Perser", setzte Krieg und Sieg der Athener voraus. Das historische Geschehen wäre ohne seine Abhandlung auf dem Theater voraussetzungslos geblieben. Denn ohne Widerspiegelung bliebe die Welt 'etwas für sich' (Hegel). Darauf beruht die Konzeption Heiner MÜLLERS.
Die Skene (Szene) war das Zelt, in dem sich die Darsteller für ihren Auftritt vorbereiteten. Das 'Proskenion' war der Platz v o r dem Zelt, wo die Schauspieler nach Vorlage des Dichters die Welt inszenierten. Erst damit wird die Welt zur wahrgenommenen Realität. Die Wahrnehmung geschah auf dem 'Theatron', dem Halbrund übereinandergestaffelter Sitzreihen. Die Gesamtheit der Zuschauer war die 'Theo-ria'. Der einzelne Zuschauer (es waren nur Männer zugelassen) war der 'Theoros', der zu urteilen hatte. Die Wahrheit des Urteils hing von der Wahrhaftigkeit der Vorstellung ab. So bis zum heutigen Tage.
Auf diesen Zusammenhang geht alle Theorie zurück. Auch die hochgeschätzte EINSTEINsche Relativitäts-Theorie hat ihre Wurzeln auf dem griechischen Theater und nicht auf singulären Eindrücken von der Welt. Diese Relativitätstheorie zum Beispiel macht Welt überhaupt (über's Haupt) erst fassbar. Darstellung und Theorie waren und sind voneinander abhängig.
Das römische Rundtheater (Zircum) war die erste wesentliche Verfälschung des Theaters. Das Herrschaftsinstrument: B r o t und S p i e l e der römischen Kaiser erfährt heute seine makabre Steigerung im US-Instrument B r o t und B o m b e n . Diese Realität bliebe ohne Widerspiegelung unbemerkt.
Das 'Theatron" ist heute von den Massenmedien verdrängt. Alle Wahrnehmung hängt davon ab, in wessen Händen diese Medien sind. Das Volk, die Theoria, der einzelne Theoros werden zunehmend irregeführt. Die M a c h e r von Welt machen das Fernsehen zur Glotze. Alles, was 'draußen' geschieht, wird für die Gaffer auf dem Sofa inszeniert. Wenn die Akteure über ihre Untaten keine Bilder liefern, isolieren sie sich selbst. So wird der Krieg einer Supermacht gegen wieder einmal eines der ärmsten Völker der Welt zur Schaubühne oder zu nichts, wenn die Täter ihre Handlungen nicht mehr zeigen dürfen.
Die Verfälschung der Bilder verfälscht die Theoriebildung. Also wird alles zum Falschen.
Damit rückt die Schöpfungsvorstellung des EMPEDOKLES von Akrages (etwa 450 vor Christi), für den alles aus dem Chaos entstand, wieder ins Blickfeld. Gedächtniszitat: ..."Augen irrten umher, der Stirnen entbehrend; Arme suchten ihre Schultergelenke"... Heiner MÜLLER knüpft hier an, wenn er von Herakles berichtet, dass der sich, in dem schweren Kampfe gegen sich selbst, manchmal falsch wieder zusammensetzt (siehe "Das Kleine Blatt" Sonderausgabe, Seite 6). MÜLLER will das Theatron wieder zum Ausgangspunkt wahrer Theoriebildung einsetzen. So viel, und nicht weniger, ist zu sagen, wenn ich MÜLLER verteidigen muss.
Mit freundlich-kommunistischen Grüßen,
Ihr Erich Köhler
Widerspiegelung - ein Antwortbrief
Liebe Ursel Dirlam,