Hinweis: 
Die Stellungnahme vom Mai 2001 ist den Internet-Seiten von Erich Köhler "Literatur konträr"
entnommen.

Stellungnahme


Mai 2001

An das P.E.N.-Zentrum Deutschland
ZWEITE STELLUNGNAHME


Geschätzte Anwesende,

im Vorfeld der heutigen P.E.N.-Tagung zu Erfurt wurde mir nahegelegt, P.E.N.-Deutschland freiwillig, sozusagen durch ein Hintertürchen zu verlassen.

Johano STRASSER ließ mir auf Anfrage mitteilen, daß der Ehrenrat des P.E.N. bis zu dieser Tagung keinen abschließenden Bericht vorlegen wird. Wie lange soll ich noch mit dem Femegericht im Genick zubringen? Mit dieser heutigen zweiten Stellungnahme will ich diesem Ehrenrat die Entscheidungsfindung erleichtern.
Seit meiner ersten Stellungnahme (auf der letzten P.E.N.-Ost Versammlung in Berlin) sind Jahre vergangen. Obwohl damals mindestens ein halbes Dutzend Kameras und Mikrofone auf mich gerichtet waren, erschien kein Bild, kein Wort in den Medien. Ich danke trotzdem für die erwiesene Aufmerksamkeit.
Der unermüdlichen Tätigkeit versierter Aktenforscher ist zu verdanken, daß neues Material gegen mich ausgekramt wurde. Ich hätte IM-Tätigkeit bis 1989 verschwiegen. Warum sollte ich n i c h t? War der kalte Krieg gegen den Sozialismus zu Ende? Sollte ich Aktenwürmer vorzeitig im Lohn und Brot bringen? Befreit von der Last ewiger Aktenwälzerei, hör ich, könnte das P.E.N.-Zentrum dann seinen humanitären Pflichten besser nachkommen. Diese Argumentation überlasse ich ihrer Dürftigkeit. Gerufmordet bin ich ja schon. Kein Verleger, kein Intendant, kein Chefredakteur, der bei meinem Namen nicht zusammenzuckt, zumindest im großen Personalindex "Sicherheitsbereich Literatur" nachschlägt.
Für dreihunderttausend Mark kann man sich Gesellschaftsfähigkeit erkaufen. Für eine symbolische Mark wurden ganze ostdeutsche Industriekomplexe ergaunert. Unter solchen Umständen ist mir meine Ehre keine drei Pfennige wert. Ich verteidige mich hier mit Worten, einer Währung, die unter Poeten, Essayisten, Novellisten noch nicht so tief im Kurs stehen dürfte.
1772 sagte ein gewisser Johann-Heinrich MERCK (nachzuschlagen unter 'Sturm und Drang')zu seinem Freund >GOETHE: "Deine unablenkbare Richtung ist es, die Wirklichkeit zu poetisieren; andere suchen, die Poesie zu verwirklichen, und das gibt nichts als dummes Zeug."
Die Wirklichkeit des 18. Jahrhunderts kannte keine Gaskammern, keine Kadavermehlfabriken, keine grölenden Nazihorden, was alles, und noch viel mehr, zu poetisieren gewesen wäre.
Wie aber steht es um die Verwirklichung von Poesie?
Poiäsia entwickelte sich aus dem griechischen ponos, was soviel heißt wie Mühe, Bemühung, und ist damit nichts weniger als irgendeine Lyrik. Poesie ist Liedhaftigkeit des bewußten Tuns.
LENINS Poesie hieß: "Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes." Der Schwung dieser Periode reichte, um die deutschfaschistischen Heerhaufen aus dem Lande zu schlagen. In dem Auframmen der Lagertore von Auschwitz durch die Panzer der Roten Armee lag eine geballte Ladung verwirklichten Menschheitstraumes.
Verwirklichte Poesie aber gerinnt alsbald zu krudem Alltag, der durch neue politische Konzepte überwunden werden will. Ein neues Konzept liedhaft bewußten Tuns ist derzeit weltweit nicht in Sicht.
Symbole sind zu Sinnbildern verkürzte Poesie. Vergleichen Sie das Staatswappen der Bundesrepublik Deutschlands mit dem des Libanon. Achten Sie auf den sinnbildlichen Anspruch und stellen Sie den Grad seiner Verwirklichung fest. Was für Traumzüge können unter dem schwarzen Krallengeier aufkommen?
Etwa einhundertfünfzig Treppenstufen über Martin WESKOTTS bescheidener Pfarrerswohnung dräut die Kahlenburg. Die dortigen Gästezimmer tragen Aufschriften (Gedächtniszitat): "Memelland", "Posen", "Warthegau" ... Ich durfte im Zimmer "Weichsel" übernachten. Jener Revanchistentempel gilt als 'Heim der deutschen Schreberjugend'. Pfarrer WESKOTTs Enttarnungseifer wäre einer schlimmeren Sache würdig als dem Wühlen in vergilbten STASI-Papieren.
US-Präsident George BUSH, vormals selber CIA-Chef, frohlockte: "Mit Gottes Hilfe haben wir den Kalten Krieg gewonnen!". Ich stehe hier mit Vorwürfen belangt, als wäre der Kalte Krieg voll im Gange. Welche Asche soll ich auf mein Haupt streuen, die Asche abgefackelter Asylantenheime, die Asche verbrannter, dem Profitstreben geopferter Tiere?
Mir wird vorgeworfen, ich hätte Einfluß auf die Auswahl von Autoren im DDR-Literaturbetrieb genommen. Das ist richtig. Christof HEIN legte Wert darauf, Mitglied im Schriftstellerverband der DDR zu werden. Ich, IM Heinrich, schrieb für ihn eine Bürgschaftserklärung. Den Wortlaut habe ich dabei. Wenn Interesse besteht, und Kollege HEIN nichts dagegen hat, lese ich die Bürgschaft gerne vor.
Reiner KUNZE hatte Schwierigkeiten mit dem DDR-Radio. Ich, Erich Köhler, schrieb an den Rundfunk und lobte KUNZEs Gedichte. KUNZE äußerte daraufhin im Kreise anderer Autoren: KÖHLER hat mich vor dem Zuchthaus bewahrt. Mochte er mit dieser Übertreibung seelig werden.
Ich habe nie einen Bericht an das M.f.S. geschrieben. Textgutachten, soweit ich solche verfaßt habe, waren von der kritischen Achtung vor der Autorenleistung getragen. Aufzeichnungen meines damaligen Führungsoffiziers nach Gesprächen oder heimlichen Telefonmitschnitten nehme ich nicht auf meine Kappe. Sie sind leicht als Elaborate eines von seiner Aufgabe überforderten Beamten zu erkennen.
Ich habe die Idee von Hammer, Zirkel und Ährenkranz verteidigt. Sage keiner meiner Ankläger, er / sie hätte das ja auch getan, sei nur eben von der STASI daran gehindert worden. Das Unglaubliche an diesem Verfahren liegt darin, daß die DDR angeblich gar keine Feinde hatte und nur aus Bosheit einen Sicherheitsdienst aufzog. Die nachträglich betriebene Delegitimierung des ersten nichtkapitalistischen Staates auf deutschem Boden blamiert sich an ihrer Vehemenz.
In Lindau stellte mir Martin WESKOTT ein Singekränzchen vor. Ältere Damen sangen: "Ein Jäger längs dem Weiher ging, lauf, Jäger lauf!". Dieses Liedlein variiere ich: "Lauft, STASI-Jäger lauft!, eh Dämmerung den Wald umfängt." Es ist kein ehrbares Tun bei nach wie vor einseitig eröffneter Aktenlage. Darin liegt die wirkliche Bosheit. Es waren nicht die besseren Athener, die SOKRATES den Schierlingsbecher reichten. ... "das Unzulängliche, hier wird's Ereignis."

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