Rede auf dem X.Schriftstellerkongreß der DDR (1987)

Literatur und Arbeit


Dokumente des X. Schriftstellerkongresses der DDR

Da es absurd geworden ist, den Kampf mit den heutigen militä­rischen Mitteln auszutragen, so rücken an deren Stelle die bes­seren sozialen, ökonomischen und kulturellen Aktivposten. Da müssen die Schriftsteller noch viel Auf­merk­samkeit auf Fragen der Arbeitswelt, deren Planung, Motivation, Organisation, Dis­ziplin und, welch häßliches Wort, Moral richten, die man be­kannt­lich nicht kaufen kann. Da bekommt das Thema Literatur und Arbeit, Arbeiterklasse und Literatur einen hohen Stellen­wert. Dann ist dieses Thema wirklich so bedeutend, wie in einer der letzten Vorstandssitzungen beschieden wurde, daß es nicht in einer zugeteilten Gruppe einmalig abgehandelt werden kann, sondern daß es kontinuierlich beachtet werden muß.

Bis hierher konnte ich an Vorredner anknüpfen, besonders an Volker Braun und Benito Wogatzki. Aber es gibt noch einen anderen Gesichtspunkt, um den es mir geht. Wogatzki hat ge­stern dargelegt, wie er aus einer kompli­zierten, mehr oder min­der beherrschten Arbeitswelt Fakten entnimmt, diese vermittels seines Ingeniums und Gutenbergs schwarzer Kunst zu einem Buch macht und dies dann den Leuten zwecks besserer Beherr­schung dieser Arbeits­welt zur Verfügung zurückgibt. Dieser Vorgang hat im ursprünglichen Sinne des Wortes etwas Zau­berhaftes. Etwas anderes machte der Schamane in der Urzeit, wenn auch mit anderen Mitteln, auch nicht. Relativ neu ist, daß der Zauberer das Zauberding seiner Sippe als Ware anträgt, daß er daran erst verdienen soll, ehe er damit seiner Sippe die­nen kann. Früher nannte man das Entfremdung. Das soll mir hierzulande erst einmal einer klar­machen. Das können doch nur besser verdienende Zauberer sein, die auf dieser Philoso­phie beharren. Es geht hier um Zwiespältigkeiten, die jeder le­bendigen Sache eigen sind, und nicht um Zwistigkeiten.

E. Köhler auf dem X. Schriftsteller-Kongreß der DDR (1987)

Unsere Philosophen haben sich auf das Nebeneinanderbeste­hen der beiden Weltlager über lange Zeiträume hin eingerich­tet. Enthusiasmus, den man bekanntlich nicht verkaufen kann, kommt in ihrem Vokabular nur noch selten vor, statt dessen mehr die Doppelparole: Gutes Geld für gute Arbeit - gute Ar­beit für gutes Geld! Diese war einst der Zauberspruch des Pro­sperierens im Kapitalismus. Ihre Übernahme durch uns für uns hat den Charakter einer Notwendigkeitsadaption, auf die das Grundmotiv für gelebten Sozialismus »Jedem nach Fähigkeit und Leistung« aufstockt.

Unsere Ökonomen, die das Vorankommen täglich mit dem Re­chenstift ermitteln, beziehen sich auf Weltstandsvergleiche und fragen: Wie lange können wir uns dieses behäbige Entwick­lungstempo leisten? Lange Zeit­räume, schnellere Entwicklung: Auf welche Seite schlagen wir Schriftsteller uns, mit welchem künstlerischen und persönlichen Einsatz? Die Langzeit­strategie ist auf Dauer doch nur phlegmatischen Gemütern zuträglich.

Natürlich sind beide Gesichtspunkte Seiten ein und desselben Widerspruchs. Es gab einmal sehr scharfsinnige Männer, die sich nicht vorstellen konnten, daß ein Pfeil fliegt, weil er doch zu jedem denkbaren Zeitpunkt an dieser und keiner anderen Stelle verweilt. Wie aber kommt er auf die nächste Stelle?

Genau dazwischen ist der Platz für den Schriftsteller. Für an­dere Leute natürlich auch, wahrscheinlich für alle Menschen. In dieser imaginären Lücke liegt das Geheimnis vom sozialisti­schen Pathos. Es ist nur noch nicht genü­gend erhellt, teilweise bis in eine vulgärmaterialistische Irritation verdunkelt.

Nach Anna Seghers - sinngemäß - habe der Schriftsteller die Belange dieser Epoche vom Gipfel des Wissens über den histo­rischen und dialektischen Materialismus zu behandeln. Liebe Kollegen, es liegt aber auch viel Firniges um eine so hohe Warte herum. Demgegenüber lobe ich mir das plutonische Ru­moren des Dichters in den tieferen Schichten, von wo aus Gip­fel empor­gehoben werden, und es ist gewiß im Sinne von Anna Seghers, daß der Poet mit seiner ganzen hohen Draufsicht auch in die Ebenen hinabsteigen müsse. Dort prägt noch weitgehend das Sein das Bewußtsein. Sozialismus - das heißt unausgesetzt immer bessere Voraussetzungen dafür schaffen, daß das Be­wußtsein das Sein mitbestimmt, sonst bedeutet er keine Alter­native.

An dieser Stelle habe ich mir lange überlegt, wie ich das Fol­gende sagen könnte, ohne an Empfindlichkeiten zu rühren. Einen kleinen Aufhänger gab mir gestern abend Hermann Kant, als er sich so sehr über seinen Signiererfolg beim Rostocker Buchbasar freute. Diese Euphorie ist nicht verallgemeiner­bar. Ich zum Beispiel verkaufte auf diesem Basar ein einziges Buch von »Hinter den Bergen«, und zwar an Frau Hirdina. Ent­weder wirken hier bei einigen Autoren Mechanismen, die bei anderen Autoren nicht wirken, oder der Buchmarkt unseres Landes verkraftet nur einen Teil der ange­bote­nen Zauberdinge. Der jetzt fällige Hinweis auf die Qualität ist nicht stichhaltig, da die Literaturkritik nicht den dazugehörigen Anforderungen gerecht wird und um besonders streitbare Autoren sowieso einen Bogen schlägt. Damit verliert auch der durch den Markt angeblich wirkende Wettbewerb seinen läuternden Charak­ter.

Die Bourgeoisie hat bekanntlich, siehe »Kommunistisches Ma­nifest«, »alle bisher ehrwürdigen und mit frommer Scheu be­trachteten Tätigkeiten ihres Heiligenscheins entkleidet. Sie hat den Arzt, den Juristen, den Pfaffen, den Poeten, den Mann der Wissenschaft in ihre bezahlten Lohnarbeiter verwandelt.« Wie haben jene, speziell die Poeten, dieses greuliche Schicksal ge­tragen? Je feiner das Salär, desto kleiner das Malheur, könnte man sagen.

Es war damals undenkbar, das Diktat des Kapitals abzustreifen. Heute rückt es zumindest in den Bereich des Denkbaren. Zum Beispiel: Wenn kaum ein Meister der Feder an diesem unwür­digen Status Anstoß genommen hat, wie wäre es denn eine Schande, als Lohnpoet der Arbeiterklasse zu wirken?

Keine Angst! Ich werde jetzt nicht ausführlich. Einiges dazu ist geschrieben und beredet und kann inzwischen dem, der es wis­sen will, irn besten Sinne praktisch vorgeführt werden. Aber, Kollegen, ihr wißt, ich habe einen Krott, und der läßt sich nicht leugnen, nicht verdrängen, nicht ohne weiteres breitschlagen. Da mein Name mit auf der Liste der Kandidaten für den neuen Vorstand steht, so muß ich noch einmal deutlich auf diesen Umstand hinweisen. Es gibt jedenfalls einen Stand­punkt, von dem aus jener kleine merkurische Dämon, der über den Vorschlägen zur neuen Honorarordnung kreiselt, mit Ab­stand betrachtet werden kann. Denn dieser kleine Dämon führt dazu, daß Bücher, das Brot des Geistes, allmählich teurer oder von der Arbeiterklasse gestützt werden müssen - wie die Kar­nickel der privaten Kleinproduzenten.

Es wird befürchtet, daß ein Autor, ein sozialistischer, muß man ja dazu sagen, also einer, der berufen ist, bewußtes Sein zu mä­eutisieren, dann nicht mehr schreiben, das heißt, nicht mehr arbeiten wird, wenn er nicht am Handel partizipieren muß und statt dessen das sichere Gehalt eines Meisters oder eines Inge­nieurs bekommt.

Einem solchen Autor würde ich schon jetzt keine Zeile mehr glauben. Trügen wir derartige Befürchtungen Arbeitern vor, so käme dort ein Gelächter auf wie bei den homerischen Göttern, als diese Apoll, den Gott der Künste, und Aphrodite, die Göt­tin der Schönheit und der Liebe, von Hephaistos mit unsicht­baren goldenen Ketten ans Lotterbett gefesselt fanden.

In einer der letzten Vorstandssitzungen wurde gefragt: Was ist denn über­haupt Arbeiterklasse? Das Proletariat, das jene Klas­senschlachten geschlagen und Opfer gebracht hat, die uns ver­pflichten, gibt es hier nicht mehr. Was ist an der neuen Klasse, von der heute so viel geredet wird, sozusagen Kopf und Kragen, Hand und Fuß?

Also, dann erforschen wir doch diese Erscheinung, vom Staats­rat über die Volkskammer durch Projektierungssäle, Fließband­hallen, das Gesund­heits­wesen, Handel und Versorgung bis in die Gruben des Lausitzer Braun­kohlen­reviers.

Wir erfahren, und das sage ich jetzt wirklich nur im Interesse meines Anliegens und aus keinen anderen Gründen, viel über die höhere kultur­politische Tätigkeit unseres Präsidiums und anderer profilierter Schriftsteller im Ausland. Die Ergebnisse sind begrüßenswert. Weitaus weniger wird über entsprechende eifrige Aktivitäten zur Bewältigung des Themas »Literatur und Arbeiterklasse« bekundet. Anscheinend ist eine solche Tätig­keit doch nicht ganz so attraktiv wie die vorgenannte.

Zu allen Zeiten wurde über jegliche Problematik Hervorragen­des geschrie­ben, als es noch keinen proletarisch-revolutionär tradierten Schrift­steller­verband gab. Sicher gäbe es auch ohne Verband in Zukunft integre sozia­listische Literatur. Da wir aber diesen Verband haben, zu dem ich mich schon seit fast drei Jahrzehnten bekenne, so ist nicht einzusehen, warum Fra­gen von solcher Bedeutung nicht organisiert gelöst werden sol­len.

Es gibt da verschiedene Aktivs, zum Beispiel das Kritikeraktiv. Dieses führt ein gewisses Dasein, hat einen Leiter, hat gewählte Mitglieder, Anteil am Verbandsetat und konnte bislang keinen Einfluß darauf nehmen, daß die beste Startrezension noch im­mer der Verriß eines Buches im »Neues Deutschland« ist. Warum sollte es da nicht auch ein Aktiv geben, das von der Sa­che her vielleicht bessere Erfolgsaussichten hat?

Hiermit beantrage ich die Einrichtung eines ständigen Aktivs »Literatur und Arbeiterklasse«, das bei gewählter Zusammen­setzung mit einem breiten Spektrum unserer wichtigsten Dia­logpartner alle anstehenden Fragen kontinuierlich berät. Dieses könnte als demokratisches Organ Vorgaben oder Vorlagen erar­beiten - für die Sachgespräche des Präsidiums mit den zustän­digen Stellen über praktische Schritte.

In der Durchführung bin ich durchaus für kleine Anfänge bei großer Beharrlichkeit über einen längeren Zeitraum. Wir kön­nen diese Angelegenheit natürlich auch ignorieren, wir können so tun, als ob mit uns schon alles in bester Ordnung sei, aber ein paar Jahre später pocht diese Frage nach dem Schriftsteller von qualitativ anderer Motiviertheit um so dringlicher an un­sere Türen.

Eine größere Zukunft kann nur von substantiell unmittelbar eingestellten Menschen geschaffen werden. Kommunisten, so steht -es im Manifest - hinzuzufügen ist auch Schreibende -, vertrerten in der gegenwärtigen Bewegung zugleich die Zukunft der Bewegung.

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