DKB • März / April 2003
- Keine Weltkarte ist eines Blickes würdig,
in der nicht das Land UTOPIA eingezeichnet ist (Oscar WILDE) - Über Oscar Wilde muss ich mich nicht verbreiten.
Das Land UTOPIA wurde nicht erst 1516 von Thomas MORUS erfunden. Der Grieche IAMBULOS beschrieb bereits im dritten Jahrhundert vor unserer Zeit den Sonnenstaat HELIOPOLIS. Er dachte ihn als Insel im Indischen Ozean. Das war ein Reflex auf die Zustände in den hellenistischen Diadochen-staaten. Vorgestellt wurde eine Gemeinschaft, in der alle Menschen gleich waren. Die Sklaverei war abgeschafft. Jeder Produzent bekam für seine Arbeit in Landwirtschaft, Handwerk, Bergbau, Hüttenwesen und Dienstleistungsgewerbe den gleichen Lohn. Es galt das Gemeineigentum an allen Produktionsmitteln. Alle Bürger (Polites) wurden nacheinander als 'Älte-ste' an der Regierung beteiligt. Die Geschlechter waren gleichberechtigt. Verehrt wurden nicht eingebildete Gottheiten, sondem Sonne, Erde, Gewässer, Land und Meer als allen Menschen gehörig. Eine Priesterschaft (Kleros) erübrigte sich. - Wir begegnen diesem Gleichheitsgedanken wieder im 18. Jahrhundert unserer Zeit im "Manifest der Gleichen", aufgeschrieben von Graccus BABEUF und Joseph DARTHEE. Sie wurden von der bürgerlichen Reaktion auf das Schafott geschleift. MARX und ENGELS ehrten sie als Frühkommunisten.
- Gleichheitsutopien waren keine Hirngespinste. Sie waren Antworten auf eine Gesellschaft der sozialen Ungleichheit, Entwürfe gegen alle Hierarchien der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen.
- ARISTOTELES, ebenfalls drei Jahrhunderte vor unserer Zeit stöhnte: "Wenn Werkzeuge und Weberschiffchen von alleine gingen, brauchte man keine Sklaven." Diesbezüglich ist alle Vorstellung realisiert. Ganze Werkhallen arbeiten menschenleer.
- UTOPIE ist nichts Unerreichbares. Nur: Die mechanistisch 'freigesetzten' Sklaven und deren Nachkommen sind vorhanden. Sie bevölkern die moderne kapitalistische Welt als überflüssig gemachte Menschenmassen. Die Sinnerfüllung ihres Daseins kann nicht vom profitorientierten Kapital, sie muss im Kommunismus verwirklicht werden.
- Gegenwärtig gibt es unter Kommunisten kaum noch Meinungsverschiedenheiten über das Ziel ihres Kampfes, der Errichtung einer klassenlosen Gesellschaft auf dem Grunde des Gemeineigentums an Produktionsmitteln. Aber wo vier Genossen zusammenkommen, gibt es fünf Auffassungen über den Weg dorthin.
- STALINs Verdienst ist die rigorose Kanonisierung divergierender Wegvorstellungen. Er stellte sich als Brennpunkt des Kollektivwillens dar und personifizierte somit das Prinzip des subjektiven Voluntarismus. Ohne seine gewaltsame Zusammenfassung des Kollektivwillens wäre die Oktoberrevolution weglos geworden. Die Zwangsindustrialisierung der Sowjetunion hätte nicht stattgefunden. Dem deutschfaschistischen Überfall hätte weder etwas Materielles noch ein zusammengefasster (fokussierter) Gesamtwille entgegengesetzt werden können.
- Aber: STALIN selbst hätte in Anwendung seiner eigenen Wirkweise nach dem Sieg über die Faschisten erschossen werden müssen. Denn diese Wirkweise verursachte eine negative Kaderauswahl. Im Partei- und Staatsapparat überlebten mehrheitlich Kriecher und Leisetreter. Damit waren die Voraussetzungen für den Revisionismus und die Lähmung der KPdSU gegenüber GORBATSCHOWS und SCHEWARDNADSEs Sozialdemokratie geschaffen. STALIN wurde nicht erschossen. Kommunisten sorgten dafür, dass sein Porträt aus der Bildleiste der sozialistischen Klassiker entfernt wurde. Damit verwirklichten sie eine andere UTOPIE, nämlich den Bruch mit dem barbarischen Prinzip: Auge um Auge, Zahn um Zahn.
- UTOPIE hat viele Facetten, mechanistische und idealistische. Diese konnten bislang noch nie alle auf einmal, sondern mussten Fall auf Fall verwirklicht werden; Verwirklicht wird das angeblich Weglose durch Menschengeist auf alle Fälle, auch wenn jeder gelöste Fall eine Fülle neuer Fälle hervorbringt.
- U-Topos, das Weglose, ist kein imaginärer Wünschel-Ort, kein Ort-nirgendwo, sondern der Ort globaler Möglichkeiten und vielfältiger Umsetzungen auf der Zeitschiene, wo immer ein gemeinsamer Wille ist. Wir tun richtig, wenn wir Oscar WILDEs Wort als Punkt 1. in den SENTENZEN der Kommunistik einsetzen.
Artikel 1
|
Sentenzen der Kommunistik in DKB Nr. 15 Jan./ Febr. 2003
|