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Erich Köhler
Zur Kulturpolitik (1995)
Erich Köhler ca. 1990

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Erich Köhlers:
Materialien zur Untersuchung, wie sich Bewusstsein herausbildet

 

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siehe auch die Texte:

W.I.Lenin:
"Von der Zerstörung einer jahrhundertealten Ordnung zur Schaffung einer neuen"

  und

W.I.Lenin
Die große Initiative


auf die Erich Köhler immer wieder verweist


 

 

Dokumente zu Erich Köhlers Ausschluss aus dem PEN Deutschland

Der Ausschluss

und

Beurteilung des Weskottschen "Forschungs"- Berichts

Rufmord an
Erich Köhler
(Frühj. 2005)

  abgedruckt in:
  Kommunistische Arbeiterzeitung KAZ Nr. 266 Mai 1995

Zur Kulturpolitik - Eine Diskussionsgrundlage

I. Oberster Kulturbegriff ist Mensch selbst. Ziel kann, bei aller katastrophalen Weltentwicklung, nur homo habilitans, das im Einklang mit seiner Umwelt lebende Individuum sein, das sich qualitativ über homo faber, den technizistisch-kommerzialischen Naturverramscher erhebt. Dieses Ziel ist nicht über den bürgerlich tradierten individuellen Voluntarismus zu erreichen, sondern nur über den kollektiven Voluntarismus.

Kommunisten haben weder die hohe Baukunst noch Musik, Malerei, Tanz oder schöngeistige Literatur erfunden. Entsprechend kläglich ist ihre Urteilsschwäche. Walter Ulbricht lehnte anthrazitfarbene Dekors ab und riet zu Blümchenmustern. Dennoch fällt Kommunisten einmal das gesamte Weltkulturerbe zu.

Heinrich Heine bekannte in seiner Vorrede zum »Buch Lutetia«:
»Dieses Geständnis, daß den Kommunisten die Zukunft gehört, mache ich im Tone der größten Angst und Besorgnis ...
Mit Grauen und Schrecken denke ich an die Zeit, wo jene dunklen Bilderstürmer zur Herrschaft gelangen werden ... sie hacken mir meine Lorbeerwälder um und pflanzen darauf Kartoffeln ... und eine unsägliche Betrübnis ergreift mich, wenn ich an den Untergang denke, mit dem das siegreiche Proletariat meine Gedichte bedroht ... und dennoch ... kann ich der Prämisse nicht widersprechen, 'daß alle Menschen das Recht haben, zu essen', so muß ich mich auch allen anderen Folgerungen fügen ... Mag sie zerbrochen werden, diese alte Welt, wo die Unschuld zugrunde ging, wo die Selbstsucht gedieh, wo der Mensch vom Menschen ausgebeutet wurde.«

Es lohnt sich, diese Vorrede im Ganzen zu lesen. Jeder Genosse müßte sie als Vermächtnis begreifen. Die Bourgeoisie hat Heine dieses »und dennoch« nie verziehen.

II.Soweit ich Kommunisten nach ihrem zentralen Kulturbegriff fragte, antworteten sie mit einer Vorstufe zu demselben: Errichtung einer Gesellschaft, in der die freie Entwicklung des Einzelnen ... Und dann folgte dieses vielbemühte Marxzitat in seiner Fragilität. Denn Freiheit ist Sein ohne Bedingungen, etwas, das es im ganzen Weltall nirgendwo gibt, was besonders von den jüngsten Eiferern dieser Formel beiseite gelassen wird.

Nie kam ein unter solchen Umständen Befragter auf den wirklichen zentralen Kulturbegriff: Die kommunistische Arbeit. Stets ging es um die Herstellung und Sicherung des Terrains nach außen wie innen. Lenin hat aus ärgster Not und notdürftig formuliert:
»Wahre menschliche Arbeit ist unbezahlte Arbeit zum Nutzen der Gesellschaft, die man leistet, nicht um eine bestimmte Dienstpflicht zu erfüllen, Arbeit, die nicht nach vorher festgelegten Normen geleistet wird, freiwillige Arbeit, die geleistet wird, ohne auf Entlohnung zu rechnen, ohne die Bedingung der Entlohnung ... aus der zur Gewohnheit gewordenen Erkenntnis von der Notwendigkeit der Arbeit für das Gemeinwohl, Arbeit als Bedürfnis eines gesunden Organismus.«

Diese banal anmutenden Sätze umreißen den zentralen Kulturbegriff des rehabilitierten Menschen. Sie bedeuten die Überwindung des Handelns aus mechanischen Zwängen. Börsianer haben da nichts zu schröpfen. Solche Arbeit, die alle kartesianischen Mechanismen über den Haufen wirft, erfordert Einsicht, Übersicht und Selbstüberwindung.

III.Aus dem Ethos: gute Arbeit für gutes Geld, mit dem heute jeder Profikiller prahlt, mag ersichtlich werden, wie hoch wahre menschliche Arbeit über jeder bürgerlichen Erwerbstätigkeit steht. Aus dem Maße, wie besonders Kommunisten heutzutage in kleinen Redaktionsstuben, als unbezahlte Autoren, Drucker, Blattverkäufer arbeiten, mag ersichtlich werden, wie dieser zentrale Kulturgedanke lebt.

Aus dem Maße, mit dem sich heute Parlamentarier zwecks Diätenerhöhung aus dem Steuertopf berappen, wird ersichtlich, wie fern diese Demokraten dem Kulturgedanken stehen.

Aus der Zunahme der Arbeitslosigkeit, also Abnahme bürgerlich bezahlter Arbeit, könnte ersichtlich werden, wieweit kommunistische Arbeit zur Tagesordnung drängt.

Aus der Gier nach bezahlten Arbeitsplätzen selbst in Rüstungswerken und Giftfabriken wird ersichtlich, wie gedemütigt gerade jene Werktätigen vegetieren, die grundsätzlich zu wahrer menschlicher Arbeit prädestiniert sind.

Ironischerweise verlangen ausgerechnet Kapitalisten, sobald sie abgewirtschaftet haben, von »ihren« Arbeitern einsichtvolle monatelange unbezahlte Arbeit, brechen somit immer wieder diebisch ins Allerheiligste des Kommunismus ein. Utopia, das angeblich Weglose, ist nichts weiter als eine künstlich und gewaltsam geschaffene Hinderung.

IV.In der DDR waren Kommunisten, Heines dunkle Bilderstürmer, an der Macht. Ein Hinausbauen ins Unbehauste begann. Maschinen wurden aus Trümmern geborgen. Junkerland kam in Bauernhand. Von Anfang an wurde nicht nur für den Eigenbedarf, sondern auch für die Wiedergutmachung produziert. Erste Neulehrerkurse wurden eingerichtet. Arbeiter- und Bauernfakultäten nahmen ihre Lehrtätigkeit auf. Ich habe als schreibender Arbeiter meine Schätzung Heinrich Heines im von dem Kommunisten Alfred Kurella begründeten Literaturinstitut »Johannes R. Becher« bezogen. Studenten, Dozenten, Professoren leisteten, mehr oder weniger einsichtig, unbezahlte Aufbaustunden. Bildhauer, Maler schufen grobschlächtige Arbeiterfiguren. Schriftsteller schrieben vom Ethos der sozialistischen - nicht kommunistischen - Arbeit: Hans Marchwitza »Roheisen«, Eduard Claudius »Menschen an unserer Seite«... Lenins wahre menschliche Arbeit diffundierte durch die Gemüter.

Ein uralter Literaturtyp kam wieder mehr zur Geltung, den ich, in Position zum homerischen, den hesiodischen Typ nenne.

Homerisch ist ein furios Daherkommen mit Schildruf und Schwertgeklirr. Im Strahlengewande der »Ilias« ritt uns von Anbeginn die Kriegsliteratur in einer Vollendung entgegen, die von späteren Epochen, selbst in den eindrucksvollsten Werken, nur noch kolportiert werden konnte (Remarque, Jünger, Simonow ... ).

Ein winziger Ausschnitt muß hier genügen:
»... mit dem Speer anstürmend, durchstach ihn der edle Achilles, daß hindurch aus dem zarten Genick die Spitze hervordrang. Doch nicht gänzlich den Schlund durchschnitt der eherne Speer ihm, daß er noch zu reden vermochte..« (Homer»Ilias«)  

Hesiod lebte um die gleiche Zeit. Auch hierzu ein Splitter:
»... Arbeit bringt keine Schande, die Faulheit bringt Schande. Wenn du der Arbeit ergeben, bald wird dich der Faule beneiden um deine Fülle...« (Hesiod »Werke und Tage«)

Wenn in einem Lande die Wirkungsgesetze der Ausbeutergesellschaft ausgeschaltet und durch vernünftige Planwirtschaft abgelöst werden sollen, worin ja der Kern proletarischer Revolution liegt, dann entscheidet die Einstellung der Menschen zur Arbeit alles. Namhaften PDS-Realos liegt dieses Thema nicht, Kommunisten können davon nicht lassen. Das Pathos der von Ausbeutung befreiten Arbeit kommt nicht von selber, es braucht seine Sänger. Ich habe darüber ausführlich in der Broschüre »Nichts gegen Homer« (Hinstorff Verlag, 1986) geschrieben.

V.Es ward also eine uralte Literaturtradition wieder aufgenommen, diese aber nicht in ihrer hesiodischen Unbefangenheit. Heiner Müller brachte das Sujet »Menschen an unserer Seite« unter dem Aspekt »Lohndrücker« auf das Theater und schlug frühwarnend die dem Sozialismus eingelagerte dumm-materialistische Seite an. Zuvor schon waren Arbeiter wegen Normtreiberei, vehement sekundiert von westlichen Agenturen, auf die Straßen gegangen. Von da an rückten zunehmend machterhaltende Methoden auch in die Kulturpolitik der DDR ein. Das Motiv für kommunistische Arbeit wurde zudem vom Prinzip der subjektiv materiellen Interessiertheit ausgehöhlt. Die Kunst reagierte seismografisch. Aus dem Vor-Bild des kollektiven Enthusiasmus wurde das Bild fressender, saufender Vulgaristen in Sieghard Gilles »Brigadefeier«. Aus der resoluten Trümmerfrau wurde die abgearbeitete, vereinsamte »Ausgezeichnete« von Wolfgang Mattheuer. Aus den Aktivisten der ersten Stunde wurden »Verpackte Flaschen« von Günter Friedrich ... In der Literatur wurde eine Zwittrigkeit von Sein und Sagen gerade bei den lockersten Artisten des sozialistischen Realismus durchsichtig. Nach dem Paradigmenwechsel 1989 verblieb ein Autorentyp, der bis heute trotz 2:1 Geldumtausches von seinem in der DDR aufgelaufenen Bankguthaben zehren kann. Es ist nicht vermessen, wenn ich behaupte, daß die Menschen, von der Führung bis zum Arbeiter, die Stufe zum kollektiven Voluntarismus nicht gemeistert haben. Die Theorie vom wissenschaftlichen Sozialismus ist halt nur die halbe Miete, sie bedarf der emotionalen Ergänzung. Goethe schrieb: Die Künstler können das Leben nicht leiten, sie können es nur begleiten. In der DDR wurde versucht, die Künstler zu leiten. Niemals dürfen Politiker sich über Kunst und Künstler hermachen, sie zu instrumentalisieren suchen. Kunst und Künstler sind als Geigerzähler gesellschaftlicher Strahlungen zu begreifen. Wo sie sich als Barden profilieren, sollen sie, zumindest wenn sie sich für den Kommunismus engagieren, nichts daran profitieren. Man soll sie leben lassen wie die Klasse, der sie dienen. Mein Vorschlag, in die volkseigenen Betriebe zu gehen, ein Meistergehalt zu beziehen, ihre Honorare und Tantiemen an den Betrieb abzuführen, wie ich das im VEGTierproduktion Radensdorf gemacht habe, wurde gerade von den am DDR-Buchmarkt Besserverdienenden bemißtraut. Ihr Hauptargument war abstruserweise, Künstler in so gesicherter Lebenslage entbehrten des Anreizes zu hohen Leistungen. Hier wurde singulärweit vorausgebaut, pluralitär zurückgeblieben.

VI.Unlängst wurde Ernst Jünger anläßlich seines 100sten Geburtstages, aber mehr noch seines Jahrhundertwirkens wegen, von der Bundesprominenz geehrt, eine Herostratie, zu der von kommunistischer Seite wenig zu vernehmen war. Bei aller Achtung vor biblischem Alter setze ich meine Haltung entgegen. Jünger, das ist die personifizierte Langlebigkeit abendländischen Abgesanges. Er ist Aristokrat, ich bin Plebejer. Seine Mittel: kontemplierende Abgehobenheit, Abstraktion, pseudopoetische Phrase »In Stahlgewittern«, Verschwafelung des Konkreten »Der Arbeiter«. Meine Mittel: Entpoetisierung des Greulichen jeder Art und nichts sonst. Jünger schwebt in redensartlichen Wolken. Seine Geisteshaltung entspricht dem ewigen JOY der immer Oberen gleich welcher Herkunft. Mir bleibt nichts als der gallige Sarkasmus, welcher aus dem Bewußtsein ständiger Unterlegenheit entspringt.

Jüngers Stil ist meditativ. Stil aller Arbeiterdichter ist das Erzählen, nichtsahnend, daß sie dem bürgerlich Erzählerischen, seit Thomas Mann, hoffnungslos hinterherziehen. Die formalästhetische Bewunderung für Jünger gerade seitens einstiger DDR-Autoren kommt aus dem gespürten Hinterhoftrauma, ist aber mehr noch die ethisch unbewältigte Seite im Sozialisten. Westdeutsche Genossen fragten in östlichen Antiquariaten nach Büchern von Otto Gotsche, Willi Bredel, Ludwig Turek ... Aber nichts geht halt über einmal erreichte Gipfel hinaus. Wallraffs »Ganz unten« oder »Akteneinsicht«, hier unmöglich zu übergehen, setzen konsequent neu am Tatsachenbericht an, unterliegen somit nicht den Kriterien belletristischer Prosa. Vielleicht eröffnen sich gerade hier Wege für uns.

VII.Spätbürgerlicher Kunstbetrieb funktioniert teils als Marktgeschehen, teils als Alibi für in der Kapitallogik nicht vorhandene Ästhetik.

Alle Schmuddelgelder aus Drogenhandel, Prostitution, Kinderarbeit, Waffengeschäften, Gift-, Müll-, Plutoniumschiebereien landen schließlich als reinliche Guthaben bei den Banken. Für Kommunisten kann Kunstbetrieb nur ein Antibegriff sein. Dennoch müssen sie sich, gerade in ihrer gegenwärtigen Unbehaustheit, unablässig auf ihre Verpflichtung für das Weltkulturerbe vorbereiten. Kunst muß auf allen ihren Versammlungen, in all ihren noch so kleinen Blättern wesentlich werden. Der Vortrag eines Gedichts, Liedes, einer kurzen Szene muß ebenso geschätzt werden wie jeder politische Redebeitrag. Kommunisten müssen zu ihrer Standhaftigkeit auch noch die belesensten, bildkundigsten, urteils- und aussagekräftigsten Zeitgenossen werden. Kein Genosse sollte sich vor Kunst-Popanzen verneigen. Und nichts, aber auch gar nichts, darf den Auslegungskünsten bürgerlicher Experten überlassen bleiben.

»Wir, im fernen Vaterland geboren
bringen nichts als Haß im Herzen mit
Doch wir haben die Heimat nicht verloren
Unsere Heimat ist heute vor Madrid«

So heißt es in einem Lied der Spanienkämpfer. Mit Betonung des Hasses ist nichts getan. Dieser bleibe der Bourgeoisie überlassen. Unser Handeln sei von der Ehrfurcht vor dem Leben durchdrungen, wie das Albert Schweitzer postuliert hat, von der Liebe zu allem, was Mutter Erde hervorgebracht, darin der Mensch ein Teil ist. Heute unbehauster denn je, ist Madrid uns überall.

Erich Köhler
Alt Zauche, April 95

abgedruckt in der    

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