Joana:
Das alles haben wir geschaffen

Sie fahren
durch das weiträumige, grünrasige Villenviertel am Fluß
  • Was denkst du
    Was denkst du dir so
    Meinst du, wir wüßten nicht, was du denkst
    Du negierst uns
    Du provozierst uns
    Du entstellst den Sinn der Arbeit
    Wagner:
    Ich, ich baue doch bloß einen Berg
    In meiner Freizeit
    Joana:
    Du proklamierst Arbeit als Selbstzweck
    Du verdächtigst die materielle Interessiertheit
    Du verachtest die Menschen
    Aber du irritierst uns nicht
    Jeder nach seinen Fähigkeiten
    jedem nach seiner Leistung
    Erde buckeln, was ist das für eine Leistung
    Kann man dafür Devisen einnehmen
    Kriegen wir dafür
    Rohstoffe, Steinkohle, Erz, Öl
    oder wenigstens Kaffee, Bananen, Baumwolle
    lösen wir so die Energiefrage
    bringt das
    bessere Planungs- und Leitungsme­thoden
    Wollte jeder sein Leben lang Erde buckeln
    brauchte die Menschheit keinen Fortschritt
    keine Technik, keine Elektronik, keinen Handel
    keine Kultur, keine Kunst, keine Bildung
    Du bist ein Nihilist
    Schau' nur genau hin
    Hier wohnen hochverdiente Kader
    Ärzte, Ingenieure, Wissenschaftler
    Ich muß diesen Leuten etwas bieten
     (...)
  • Joana:
    Steh endlich auf
    Wir bauen Kraftwerke, Walzstraßen
    ganze Industriegiganten und du
    du greinst hier wegen eines Erdhaufens
    der eingeebnet werden mußte
    und provozierst einen Massenauflauf
    Referent:
    Recht so
    Wir stampfen Städte aus dem Boden
    lösen die Umweltfrage
    verändern das Territorium
    um nicht zu sagen, die Welt
    und was tut Sie
    Schwaan:
    Sehr richtig
    Wir schaffen
    neue historische Zusammen­hänge
    lösen die Frage WER - WEN
    von Grund auf, und was machst du
    Abbildung  E. Köhler aus Theater der Zeit 8/1983

Sisyphosarbeit

von Armin Stolper
in: »Theater der Zeit« Heft 8/1983

Wer die Götter überlistet und sogar dem Tod ein Schnippchen schlägt, der verdient eine Strafe, die sich nach anti­ker Überlieferung in einer besonderen Form von Schwere und Sinnlosigkeit aus­drückt. So geschehen dem griechischen Sagenhelden Sisyphos, der für sein listen­reiches Tun in der Unterwelt dazu ver­dammt wurde, einen Felsbrocken giganti­schen Ausmaßes den Berg hinaufzuwälzen, von dem er jedesmal, bevor er den Gipfel erreicht, wieder hinabrollt. Auf der Kupfer­tafel, die Karl Philipp Moritz in seiner »Göt­terlehre« kommentiert, ist unter dem Schwer­arbeiter Sisyphos das Paar Amor und Psyche, »sich umarmend dargestellt.« In seinem Stück »Der verwunschene Berg« greift Erich Köhler den Mythos vom Sisyphos auf, behandelt ihn aber auf zeit­genössisch-sozialistische Weise, d. h., er funktioniert ihn um. Freilich muß man sich das nicht so lehrhaft-didaktisch vorstellen, wie es die notwendigerweise kürzelhafte Formulierung suggeriert. Köhler ist ein phantasievoller, leidenschaftlicher Poet, der uns schon mehr als einmal mit seinen erzverrückten Geschichten von verbohrten Einzelgängern wie mit seinen sarkastisch-aufsässigen Essays aus der oft bieder­meierlichen Eintracht und Ruhe scheinso­zialistischer, nichtrealistischer Behaglich­keit aufscheuchte. Daß er sich in dieser Ge­schichte mit dem alten Mythos aufs neue und auf neuartige Weise herumschlägt, wird nur denjenigen verwundern, der sei­nen letzten Beitrag, veröffentlicht in »Sinn und Form«, 1982/5, nicht gelesen hat.

Buch-Einband: Nichts gegen Homer

Köhler zieht dort gegen die sogenannte homerische Tradition in der Kunst und de­ren Überlieferung zu Felde, die sich von je­her in der Schilderung und Lobpreisung von kriegerischem Tun gefiel; er bricht zu­gleich eine Lanze für Hesiod, der in seinen Werken vorwiegend die friedliche Arbeit des Menschen, sein schöpferisches Tun, pries und dafür lange nicht den Ruhm sei­nes künstlerisch gleichrangigen Kontrahen­ten errang: »Mindestens zwei Drittel der vor Troja handelnden Achaier waren, recht besehen, Faulpelze, Neidhammel, Protze, Intriganten, Schläger, Mordbrenner, eifer­süchtige Hahnreis, aggressive Tunichtgute, halbwilde Hirtenhäuptlinge mit dem frag­würdigen Verdienst pränationalistischer Kolonisatoren, die in Friedenszeiten nichts mit sich anzufangen wußten und denen je­der Feldzug gerade recht war, sich auf Ko­sten der jeweils überfallenen Ackerbauge­sellschaft in Szene zu setzen.« Köhler meint, daß sich ein dem Hesiod verpflichteter Dichter unserer Tage eine »mythologi­sierende Kosmetik« nicht leisten könne: »Sein Lied profitiert nicht aus der hekti­schen Spannung des Waffenganges. Zwi­schen Geburt und Tod schwingt hier ein breites Feld der täglichen Bewährung ... Wenn hervorragende Arbeiter, Forscher, Kollektive geehrt und ausgezeichnet wer­den, so ist das ein deutlicher Hinweis auf die geschichtliche Bewegungsrichtung. Edel ist nicht, was zuvor des gewaltsamen Todes bedarf, um allgemein interessant zu werden, sondern das Bekenntnis zur leben­digen, schöpferischen Arbeit.«

Eben dies, die schöpferische Arbeit, wird zum zentralen Thema in Erich Köhlers Stück »Der verwunschene Berg«, das der Dichter als »einen Bühnenvorschlag« nach seiner Filmerzählung »Hartmut und Joana« schrieb, nach der zwar nie ein Film gedreht wurde, die aber nun, in »Sinn und Form« vorabgedruckt, bereits in zweiter Buchauf­lage beim Hinstorff Verlag erschienen ist. Seinen Helden, den Transportarbeiter Hart­mut Wagner, läßt Köhler durch eine seiner Stückfiguren folgendermaßen charakteri­sieren:

Ernährst keine Familie
sparst nicht auf ein Auto
du hast noch immer keine Neubauwohnung
baust keine eigene Datsche
spielst nicht im Lotto
züchtest keine Karnickel
säufst unregelmäßig
fährst nie in Urlaub
verschenkst dein Geld
mußt nicht einmal Alimente zahlen
Junge, ich glaube, du bist nicht von hier.

Aber das Untypische an dieser recht typi­schen Arbeiterfigur wird noch weiter ge­trieben, wenn dieser Mensch des harten Mutes nicht nur einem Kindertraum nach­jagt, sondern ihn sogar zu verwirklichen trachtet. Inmitten einer im Umbruch begrif­fenen Landschaft, in der Industrieanlagen und Wohnstadt zur gleichen Zeit aus dem Boden gestampft werden. Da wird viel Erde bewegt und genau das ist der Grundstoff für die Traumrealisation unseres Helden; damit baut er einen Berg inmitten der Ebene, ganz allein, sehr mühselig, bemitlei­det von manchen, verhöhnt von vielen; die­sem Berg opfert er sein ganzes Leben und seine ganze Liebe, und wenn der eines Ta­ges rasiermesserhaft und blitzesschnell hinwegrationalisiert wird, dann ist er selbst zwar ein toter Mann, aber sein Traum ist nicht totzukriegen. Er beschäftigt die Nach­welt so sehr, daß ein neuer Berg errichtet werden muß; diesmal mittels staatlicher Planung, in Form kollektiver Arbeit, mit Hilfe fortgeschrittener Technik.

Also ein Stück nach dem berühmten Mu­ster: Einer gegen alle? Ja und nein. Köhler liebt seinen Helden und stattet ihn mit vie­len Elementen aus dem Reservoir trotzig­provokanter Selbsthelfer aller Zeiten aus, er läßt ihn zum Träger und Realisator seiner Hauptidee werden, aber er stellt ihn doch nicht gegen eine ihm feindlich gesonnene Umwelt, sondern mitten hinein in eine Ge­meinschaft von Gleichen, deren Vertreter allerdings keineswegs so hartnäckig von der Notdurft einer Traumerfüllung gepei­nigt werden, wie er selbst. In einer Zeit, in der für die Notwendigkeiten der vielen so vieles auf einmal geschafft werden muß, bleibt das Tun für den Überfluß gewisser­maßen noch die Angelegenheit einzelner. Und der Härte dieser Zeit und ihrer oft ad hoc durchgeführten Auf- und Umbrüche ist es zuzuschreiben, wenn dabei vieles von dem gewollten und proklamierten Ideal vor­erst nur bei einem einzelnen in festen Hän­den liegt, der für die Schaffung des Sur­plus sogar noch immer mit seinem Leben bezahlen muß. Natürlich bringt ihn keiner um, aber es bringt ihn um; er geht an der Un-Menschlichkeit der sich selbst gestell­ten Aufgabe zugrunde und müßte es doch nicht in einer Gesellschaft, die sich der Menschlichkeit verpflichtet fühlt. Oder doch?

Aber dieser Hartmut Wagner hat auf hö­herer Ebene einen Kontrahenten, der ei­gentlich kein Gegenspieler ist, sondern gleichfalls wie er einem schier unerfüllba­rem Ziel nachjagt, nämlich: eine neue Stadt kulturfähig zu machen. Der Er ist eine Sie, hervorgegangen ebenfalls aus der Arbeiter­klasse, hochstudiert bis zum OB der Stadt, in der Wagner seinen verwunschenen Berg errichtet. Joana, von Hartmut geliebt und ihm immer entschwindend, weil er mit sei­nem Berg mehr befaßt ist als mit der Frau, die sich von ihm fortbewegt, weil ihre Auf­gabe sie dazu mit ebensolcher Notwendig­keit zwang; wiederum ein an sich tragi­scher Vorgang, denn nicht einmal die Liebe vermochte diese beiden Menschen zuein­ander zu führen in einer Zeit, die doch für Liebende schon günstiger ist hierzulande als alle ihre Vor-Zeiten.

Für mich ist es von besonderem Inter­esse, daß der Dichter auch in dieser Figur eigentlich eine Arbeit von sisyphoshaftem Ausmaß Gestalt werden läßt, aber diesen Begriff auch bei Joana einem neu- und an­dersartigem Denken unterwirft. »Du leug­nest den Materialismus«, hält Joana Hart­mut vor und fährt fort: »Schuften bis zum Umfallen als Lebensideal. Du verhöhnst den Fortschritt. Du entstellst den Sinn der Arbeit. Der Mensch braucht den Erfolg. Er will für seine Arbeit etwas haben ... Erde buckeln. Was ist das schon für eine Lei­stung. Kann man dafür Rohstoffe, kann man dafür Genußmittel kaufen, Kaffee, Ba­nanen. Kriegen wir dafür Baumwolle. Hilft uns das, die Energiefrage lösen. Bringt uns das bessere Planungs- und Leitungsmetho­den? Ja, freilich, wenn jeder sein Leben lang bis zum Umfallen Erde schleppen soll, dann braucht die Menschheit keinen Fort­schritt, keine moderne Technik, keine Elek­tronik, keinen Handel, keine Leitung, keine Kultur, nichts, gar nichts ...«

Köhler polemisiert also mit seinem Berg nicht billig gegen die technisch-wissen­schaftliche Revolution im Sozialismus, aber er läßt im Leser seiner Geschichte, im mög­lichen Betrachter seines Theaterstückes, die Erkenntnis reifen, daß dem gesell­schaftlichen Fortschritt etwas Wesentli­ches fehlt, wenn der in den Ebenen, wo keine Berge vorgesehen sind, keine Berge entstehen läßt. Er läßt auch Trauer aufkom­men darüber, daß ein Lebenswerk beden­kenlos vernichtet wird und daß ein auf Be­schluß von oben rasch hergestellter Ersatz-berg nicht das gleiche bedeutet wie ein Indivi­dual­berg, in den der Mensch sein gan­zes Leben, in dem der Mensch in seiner Gänze steckt. Die Ebenen haben miteinan­der zu tun, aber sie sind nicht identisch. Hartmut und Joana sind potentiell Lie­bende, deren Liebe sich jedoch nicht er­füllt. Dies ist freilich nur ein Gesichtspunkt des Stückes, und ich möchte selber nicht mehr darauf herumreiten als nötig; keines­falls sollte er andere Lesarten ausschalten oder für unzulässig erklären.

So schwer wie es Köhler seinen Protago­nisten im Stück macht, so schwer wird es sein Stück haben, in überzeugender Weise auf eine Bühne unseres Landes zu kom­men, denn wieder einmal haben wir es mit einem dramatischen Werk zu tun, das das Theater nicht eilfertig bedient, sondern es herausfordert in seiner ganzen ihm mögli­chen schöpferischen Potenz. Wenn da von Mitteln der Symbolik und des Grotesken die Rede ist, kann ich mir die Ratlosigkeit der Regisseure, Bühnenbauer und Drama­turgen gut vorstellen, behalten sie doch mit schöner Einseitigkeit diesen Mittelfonds zu­meist den Stücken der Vergangenheit oder aus exotischen Zonen des Planeten vor. Wer da die Finger von dem heißen Eisen läßt, muß nicht ein feiger Hund geheißen werden, aber wer sich der Aufgabe stellt, diesen »Verwunschenen Berg« auf seiner Bühne zu errichten, den wird man sicher­lich nicht dekorieren, doch ist er gewisser­maßen selber in die Reihe der modernen Märtyrer und Wundertäter eingetreten, de­ren Zahl nicht gerade groß ist. Von Sisy­phosarbeit auch bei der Realisierung des Stückes auf der Bühne zu sprechen, scheint mir berechtigt, denn es werden viel kluge Leute zur Hand sein, die einem be­weisen, daß man sich dabei in ähnlich ver­zweifelter, schier auswegloser Lage befin­det wie Hartmut und Joana.

Wer von den Theaterleuten trotz dieser Warnung den Mut nicht sinken, sondern sich von ihm durchpulsen läßt, dem sei empfohlen, gewissermaßen als Kontext zu dem hier vorliegenden Stück, Erich Köhlers »Paralipomena« zu lesen, die ebenfalls in »Sinn und Form, 1980/5« veröffentlicht wurden. Und sei es nur zu dem Zweck, um über den Satz nachzudenken, der dort in­mitten einer hinreißend geschriebenen Po­lemik gegen die bürgerliche Kriminallitera­tur für die Entwicklung der sozialistischen Weltliteratur steht, der da lautet: »Aber fa­briziert die volkseigene Getränkeindustrie um des Umsatzes willen nicht vorzugs­weise gezuckerte Weine, weil der herbe, naturgegebene Rebensaft allgemein als sauer verkannt wird?«

Hätte ich als Dramaturg einer möglichen Aufführung des Stückes das Programmheft zu gestalten, würde ich auf dessen Titel­blatt die eingangs erwähnte Kupfertafel ab­bilden: oben Sisyphos bei der Arbeit, unten Amor und Psyche bei der Liebe. Der aus dem Altertum herrührende Widerspruch mag. den zeitgenössischen Betrachter pro­vozieren, aktivieren, amüsieren - so wie Köhlers Stück.

Sisyphosarbeit
Zu Erich Köhlers
»Der verwunschene Berg«
Von Armin Stolper
erschienen in: »Theater der Zeit« Heft 8/1983

Foto oben:   Kneschke
außerdem sind folgende Personalien aufgeführt:
Erich Köhler
Geb. 1928, erlernter Beruf Bergmann. Ar­beitete als Füller, Fördermann, Hauer und Steiger bei der Wismut-AG, war aber auch Sägewerksarbeiter, Landarbeiter, Genos­senschaftsbauer sowie Absolvent des Insti­tuts für Literatur »Johannes R. Becher«. Seit 1963 freischaffender Schriftsteller. Lebt im Spreewald.

Epik (Auswahl): »Schatzsucher« (1964), »Nils Harland« (1968), »Der Krott« (1976), »Hinter den Bergen« (1976), »Hartmut und Joana« (1980), eine Filmerzählung, bildete die Grundlage für »Der verwunschene Berg«. Mehrere Kinderbücher.

Stücke: »Die Lampe« (Einakter - 1970 U am Deutschen Theater), »Der Geist von Cranitz« (1972 U an der Volksbühne, abge­druckt in TdZ 7/72), »Vietnamesische Le­gende« (1975 U Theater der Freundschaft), »Das kleine Gespenst« (1977 U Theater der Freundschaft).

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Menschwerdung 2

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