Ein Troll erlebt
deutsche Geschichte
von Christel Berger
in: "wiedergelesen" ND 06./07.02.2010
Sture
und das deutsche Herz -
wie Erich Köhler seinen eigenen Weg suchte
Viele Leser mögen dieses Buch nicht »wieder lesen«, sondern erstmals entdecken.»Sture und das deutsche Herz« von Erich Köhler ist zwar 1990 im Hinstorff-Verlag erschienen, doch der größte Teil der Auflage landete gleich auf den berüchtigten Müllhalden von damals, die neben anderen Pfarrer Martin Weskott entdeckte, und er rettete viele der Bücher in seine Scheune. Eben dieser Martin Weskott war es auch, der wenig später im Auftrag des PEN gemeinsam mit zwei anderen ein Papier verfasste, das ein Bleiben des Autors Erich Köhler, alias »IM-Heinrich«, im PEN für unmöglich hielt. Köhler protestierte vehement gegen das Verfahren, in dem prinzipiell die Tätigkeit für die Staatsicherheit für ehrenrührig gehalten wurde. Seine Meinung von der DDR »als der schutzwürdigen Alternative zur bisherigen deutschen Geschichte« wurde von den anderen PEN-Mitgliedern nicht geteilt. Seine Widerrede half ihm nicht. Er allein wollte damals eine als Gesetz geltende Regel in Frage stellen, die zu bestätigen die Justiz der Bundesrepublik sich hütet. »Ein seltener Mensch, der den Verhältnissen an die Wurzel geht«, sagten andere über ihn.

Erich Köhler starb 2003, und nicht nur seine Witwe schreibt seinen Herzinfarkt dem Ärger über diese Ereignisse zu. Deutsche Realgeschichte!
Auch das gehört zur deutschen Historie: Ein Landarbeiter und Bergmann wird Schriftsteller. Aus einem schreibenden Arbeiter in der Tradition von Kalendergeschichten (Thema: Das Neue auf dem Land) wird ein Dichter, ja auf seine Art ein Weiser gar - verrätselt, fantasievoll, gebildet, sperrig, philosophisch, man denke nur an »Hinter den Bergen« (1976) oder »Der Krott oder Das Ding unterm Hut« (1976). Ein Utopist, für den die Wirklichkeit seiner Welt wenn auch auf dem richtigen Weg, aber viel zu halbherzig und hasenfüßig war, denn jegliche Waren- und Geldwirtschaft entfremdet seiner Meinung nach den Menschen von seiner wahren Natur. In der DDR wurde er eher belächelt, denn auch für die Bezahlung von Künstlern machte er Vorschläge (und probierte sie aus), die seinen Kollegen und den Verlagen wenig behagten, und er wurde selten gelobt, denn seine Visionen kritisierten ja die Gegenwart. So galt er als schwierig, kauzig, und die Fachwelt wunderte sich nur, dass da fast unbemerkt ein Schriftsteller herangewachsen war, schwer einzuordnen und doch schreibgewaltig einen eigenen Kosmos errichtend. Voller Dialektik und Schrullen, ungewohnter Sichtweisen, modern und sicher sein Handwerk meisternd. Stur - dazu bekannte er sich - einen eigenen Weg suchend und gehend.
Nicht zufällig heißt der Held seines Buches »Sture«, er ist ein Troll, ein Wechselbalg, dem alles Tun für die Menschen ins Dämonische schlägt. Schon sieben Mal wandelte er in verschiedenen Funktionen in europäischer Geschichte und erlebte so manchen Aufstand, der sein Ziel verfehlte. Nun aber zum achten Mal kommt er aus dem kalten Norden ins brodelnde 20. Jahrhundert und erscheint an historischen Schauplätzen wie Berlin, München, Moskau, Madrid, Le Vernet, Teheran, Auschwitz, auf dem Brocken, in einem Wismut-Bergwerk. Er begegnet Stalin und Hitler, Thälmann und Pieck, dem schlauen b.b. und dem klugen Hermann Duncker. Erich Weinert und Johannes R. Becher tauchen auf und immer mal wieder ein »Polit-Leitlotse«, sowie andere obskure Helden. Zeitweise begleitet ihn Karl, ein altes und krankes Pferd. Nicht weniger leidend als diese Kreatur irrt er schließlich blind und doch immer mehr sehend durch die Zeit. Waren es anfangs vor allem die Mythen seiner Kindheit, die Edda und die Bibel, die ihm zur Welterkenntnis halfen, eignet er sich mehr und mehr Theorien und Erfahrungen an: Er erklärt sich mit den Lehren, die der Marxist Duncker ihm vermittelte, die Weisheiten der alten griechischen Philosophen. Er sucht nach den Drehpunkten im Weltgeschehen und findet überall Widersprüche und Gegensätze zwischen Ruhe und Bewegung, Innen und Außen, Sinn und Zufall, Körper und Seele, Intuition und Verstand, - Spannung, die die Welt zusammenhält, aber auch zu zerreißen scheint.
Dass es immer wieder um die Frage »Wer wen?« geht, gehört zu seinen Einsichten ebenso wie die Erfahrung, nirgends so recht hinzupassen, auch nicht ganz in die ganz neuen Verhältnisse nach 1945. Hier erhält er zwar Arbeit, wird gar zum Lernen delegiert, was ihm gefällt. Aber letztlich geht es doch wieder um Geld, Belohnung und Konsum, und Sture hat doch begriffen, dass man nur bei sich selbst ist, wenn man etwas zur eigenen Freude, aus eigener Überzeugung tut.
Fast notwendig wird er Künstler und die einzigen, die ihn nicht für sonderbar halten, sind die Kinder.
Dass er am Ende des Romans, den er vor 1989 geschrieben hat, seinen Helden auf dem Rist der einstürzenden Berliner Mauer als »Denkmal der Utopie« landen lässt, hat wohl viel damit zu tun, dass er, wie er sagte, mehr ahnte und fühlte als er verstand. »Ich habe eben zu viel Phantasie. Ein Dichter ist eben ein Mensch, der in der Praxis an seiner Phantasie scheitert, an seiner Einbildungskraft, die eben größer ist als seine praktische Kraft.«
Das Buch hat Längen und birgt Geheimnisse, die ich nicht entschlüsseln konnte. Das Beeindruckendste ist die Sprache: Da raunt die Edda, Duncker doziert und Sophistes philosophiert, und sogar die Aufzählungen trockener Erfordernisse sind mit den dazugehörigen Zahlen versehen. Köhler spielt souverän mit Sprache und Geschichte und baut sich so seinen Kosmos, in dem auch der Humor nicht fehlt, siehe das Onkel Sam nach 1945 im »Viermächte-Klinikum« angegliederte deutsche Bein. Das war die einfachste und schnellste Methode im Umgang mit der deutschen Leiche.
Der Kulturmaschinen Verlag hat das Buch jetzt wiederentdeckt und verspricht, dass es nicht das einzige Werk Erich Köhlers in seinem Verlag sein wird.
Erich Köhler: Sture und das deutsche Herz. Kulturmaschinen Verlag Berlin. 364 S., brosch., 16,90 Euro
Sture und das deutsche Herz -
wie Erich Köhler seinen eigenen Weg suchte
von Christel Berger in: wiedergelesen aus ND 06./07.02.2010
Bestellung auch beim
Verlag KULTURMASCHINEN Berlin 2009
Prolog zu "Sture"
Leseprobe
Rezensionen zur Erstausgabe
Nachwort zur Neuerscheinung 2009 von Leander Sukov